Seit über einem Jahr ist die Welt im Krisenmodus. Die Optikerwelt scheint nur wenig davon zu spüren. Dies bestätigt auch ein Blick in die Zahlen: Die Anzahl optischer Fachgeschäfte hat sich in der Schweiz mit 1100 im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert. Vor allem die Augenoptikfachgeschäfte in den ländlichen Gebieten segeln nahezu unbehelligt durch den Sturm. Sie sind erstaunlich solide und profitieren vom Home-Office Trend.
In den Innenstädten und Einkaufszentren sieht die Lage deutlich trüber aus, da dort die Frequenz deutlich abgenommen hat, und auch Touristen in diesem Jahr ausgeblieben sind. Gesamthaft betrachtet ist unsere Branche erstaunlich krisenfest und robust.
Was sind die Gründe für diese Widerstandsfähigkeit?
Zum einen gehört der Augenoptiker zu den Gesundheitsberufen und erfüllt eine systemrelevante Funktion, wenn es um das Sehen geht. Hier geht es um die Grundversorgung der Bevölkerung, um Sicherheit und Schutz.
Neben den Steigenden Sehanforderungen am Arbeitsplatz wird der Markt von der wachsenden Bevölkerung und der sich ändernden Alterspyramide genährt. So stieg die Zahl der in der Schweiz wohnhaften Personen im Alter von über 45 Jahren im Jahr 2010 von 3.5 Millionen auf 4 Millionen im Jahr 2019. Der Anteil der über 40-jährigen an der Schweizer Wohnbevölkerung betrug im letzten Jahr knapp 54%. Auch die Veränderungen im Sehverhalten - Stichwort «Myopie» - und die Bedeutung der Brille als Accessoire spielen sicher eine Rolle.
Der Preis ist heiss
Es gibt allerdings noch weitere Faktoren, die dafür verantwortlich sind, dass das Coronavirus in unserer Branche praktisch keine Spuren hinterlassen hat. Unabhängige Augenoptikergeschäfte mussten ihr Geschäftsmodel seit den 90er Jahren immer wieder überdenken und sich neuen Gegebenheiten anpassen. Damals kam Fielmann in die Schweiz und demonstrierte eindrücklich, dass eine Brillenfassung mit Gläsern nicht teuer sein muss. Der Preiskampf war lanciert und die Filialisten übertreffen sich noch heute gegenseitig mit Rabatten.
So wurden die unabhängige Augenoptikergeschäfte fast gezwungen ihr Profil zu schärfen, um sich im Markt zu positionieren. Viele wollten oder konnten nicht auf dieser Abwärtsspirale surfen. So blieb meist nur ein Weg: Sich durch Qualität und Emotionen von den Filialisten abzugrenzen. Das Sortiment wurde gestrafft, die Marken, die es auch bei den «Grossen» gab, wurden eliminiert. Viele Geschäfte bekamen ein Facelifting, um den Kunden ein echtes Einkaufserlebnis zu bieten. Dazu wurde intensiv in die Weiterbildung der Mitarbeiter investiert. Meist ging der Inhaber oder die Inhaberin mit gutem Beispiel voran. Dieser Effort wurde dann meist auch mit gleichbleibendem oder sogar steigendem Umsatz belohnt.
On- oder offline?
Der nächste Modernisierungsschub wurde durch die ersten Onlineshops ausgelöst, die ab 2010 auf dem Bildschirm erschienen. VIU bewies eindrücklich, dass auch eine virtuelle Brille sexy sein kann. Dies führte anfänglich zu Verunsicherung und dann zu Aktivismus in der Branche. Augenoptiker und Einkaufsgruppen versuchten, auf diesen Zug aufzuspringen und lancierten eigene Webshops. Viel wurde ausprobiert und wieder verworfen. Entspannung machte sich breit, als man realisierte, dass auch die Onlineshops eine physische Präsenz brauchen. Eine korrigierte Brillenfassung ist hochkomplex und für den Onlinehandel nur bedingt geeignet.
Rückblickend gesehen hat dieser Digitalisierungsschub in der Coronakrise bestimmt geholfen. Nicht wenige haben innert kürzester Zeit auf ihrer Webseite eine Onlineterminierung eingeführt und konnten so besser durch den Sturm navigieren.
Letztlich sind es Menschen, die den Unterschied ausmachen. Augenoptiker*innen sind es gewohnt mit Menschen in allen Lebenslagen umzugehen. In der Krise zählt die Qualität der Kundenbeziehung und das Miteinander im Team. Dies sind wohl die entscheidenden Kriterien, um solche Krisen erfolgreich zu meistern.
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